Donnerstag, 8. September 2016

Schlamm, Schweiss und Regen

Am Freitag, den 2. September, einem kühlen, grauen und verregneten Tag, machte ich mich wieder auf, um nach Khaya in Südburjatien zu fahren. Die Fahrt über die Magistrale M 55 ging zügig voran, es gab wenig Verkehr und der Baikal zeigte sich von seiner eher ungemütlichen Seite. 



Nun, so verpasste ich wenigsten wettermässig nicht viel, da ich eh den ganzen Tag unterwegs war.
Irgendwo bei Selenginsk dann wieder einmal eine DPS-Kontrolle, trotz Regen jedoch mückenverseucht. Die beiden Polizisten liessen sich nichts anmerken, als ob für sie diese Mücken nicht existierten. Ich drehte schier durch. Es war eine lustige Kontrolle, wie immer wollten sie wissen woher ich bin und wieso ich gerade durch Burjatien reisen wollte. Nun, etwa 700 Mückenstiche später war ich wieder unterwegs. Etwa 30 Kilometer nach Ulan-Ude hielt ich zum Übernachten auf einem Hügel an, den ich auf einem Feldweg erreichte. Wäre wohl eine prächtige Aussicht gewesen, hätte es nicht geregnet und wäre der Himmel nicht so tief mit Wolken verhangen gewesen. Aber ruhig war es allemal. 



Am nächsten Morgen frühzeitig losgefahren nach einem gemütlichen Morgenessen. Das Wetter war immer noch nicht besser. Ich entschied mich diesmal, noch ein Stück auf der M 55 zu bleiben und über Mukhoshibir zu fahren, welches die dritte Möglichkeit ist, nach Khayan zu gelangen. Und diese Entscheidung erwies sich als sehr gut, denn landschaftlich war es atemberaubend. Ein langes Tal, weite Kurven, kleine Hügel und prächtige Dörfer mit ganz farbigen Häuser. Diese Gegend um Tarbatagay ist bekannt für die Dörfer der Altgläubigen, welches eine strenggläubige Gemeinschaft orthodoxer Christen ist. Ganz nach dem Motto „Urbi et orbi“.






Aber kaum von der Magistrale abgebogen, waren die Strassen wieder furchtbar. Und was ich mir bis dato immer noch nicht erklären kann, ist das russische Strassenbausystem. Da gibt es zum einen die Naturstrassen, welche zum Teil sehr gut befahrbar sind, dann wieder mehrere hundert Meter oder Kilometer Schlagloch- und Wellblechpisten. So zwischendurch einmal mit einem Grader (Strassenplaniermaschine) darüber fahren würde dem Ganzen viel Abhilfe schaffen. Dann sind da zum anderen die Asphaltstrassen, welche ebenfalls streckenweise ganz gut befahrbar sind, dann jedoch immer wieder durch 10 – 50 Meter lange Stücke mit enormen Schlaglöchern und aufgerissenem Asphalt übersät sind. Oft kann ich gar nicht schneller als 20 km/h fahren. Interessanterweise gibt es auch ein Gemisch aus Natur- und Asphaltstrassen, was ich schon gar nicht mehr begreife. 20 Kilometer Naturstrasse, 500 Meter Asphalt, wieder 5 Kilometer Natur, 10 Kilometer Asphalt usw. Ich meine, was soll das? Und für das, dass auf dem Lande wirklich sehr wenig Verkehr herrscht, sind die Strassen in einem erbärmlichen Zustand. Und das liegt bestimmt nicht nur an den klimatischen Verhältnissen.




So. Nun aber wieder zurück zur Reise. Kurz nach Mittag dieses 3. Septembers traf ich bei Rimma und Familie in Khayan ein. Ein freudiges Wiedersehen. Und selbstverständlich gab es gleich etwas zu Essen und es wurde Vodka gereicht. Schargal war nicht zu Hause, er war mit einem Kumpel in der Taiga am Zirbelkieferzapfen sammeln. Und daraus werden die sehr leckeren Kiefernüsse gewonnen. Nach dem Essen musste ich mich erst mal zwei Stunden hinlegen... Und was auch nicht zu vermeiden war, es musste unbedingt ein Schaf her! Ich wollte jedoch kein Schaf! Nichts zu machen, mit Schargal zu seiner Mutter Dussia gefahren und da lag das Schaf schon. 




Wieder zurück, das Fleisch in weitere kleine Stücke zerlegt und die Leber auf das Feuer. Für mich und Schargal gab es somit noch ein spätes Abendmahl, dazu Tee und Vodka. 



Tags darauf fuhr ich mit Nadja und Schargal nach Kjakhta, der alten Handelsstadt an der mongolischen Grenze. Ihr Sohn und mein Patenkind Dima studiert dort seit dem ersten September an der Hochschule für Medizin und wohnt in einem Studentenheim. Zu zweit in einem Zimmer, welches vermutlich kleiner ist als eine Zelle für Einzelhaft in einem unserer Gefängnisse. Vielleicht drei auf vier Meter. 

 
Zusammen besorgten wir in der Stadt für Dima noch diverse Sachen, die er noch braucht, gingen etwas Essen und am frühen Abend fuhren wir wieder zurück. Kjakhta fällt durch seine alten Handelshöfe, prächtigen Holzhäusern und neu gestrichenen Kirchen auf. Auch besuchten wir den alten Grenzübergang aus sowjetischer Zeit.












Und Lenin, der alte Zausel, ist nun ironischerweise dazu verdammt, auf ewig die Kirche anzustarren... Im Einkaufscenter „Titan“ sah ich, wie sie hierzulande mit Ladendieben umgehen. Da hängt beim Ausgang ein grosses Plakat mit Fotos der Leute drauf, die „vergessen“ haben zu bezahlen. Ist auch eine Variante...




Am nächsten Tag war wieder Programm angesagt, es wartete ein Besuch in der Schule No. 4 in Bichura, wo Rimma zwei Tage die Woche als Englischlehrerin arbeitet. Sie sagte mir, dass ihre Klasse mir gerne einige Fragen stellen möchte. Jedoch stellte sich heraus, dass ich vor der ganzen versammelten Schule Red und Antwort stehen musste! Ich war einen Moment lang etwas überfordert, dies legte sich doch sehr schnell. Es war eine interessante und spannende Erfahrung und es waren wirklich ganz süsse Kinder und Jugendliche. Der Höhepunkt allerdings war dann die Besichtigung des Magirus’. Und auch für viele Fotos musste ich herhalten, seien es mal in Gruppen, mal zu zweit oder ein Selfie. Es hat Spass gemacht.








Was ich jedoch sehr befremdlich fand, waren die Plakate in der Schule über den Umgang mit Waffen und überhaupt die Verherrlichung der Armee. 


Danach gab es einen kleinen (!) Imbiss in der Schulkantine mit der versammelten Lehrerschaft. Alles selber gemacht, auch der Vodka. Die Schule hat auch einen eigenen Gemüsegarten, dass ist erstens lehrreich für die Schüler, zweitens billiger als im Magazin einzukaufen. Es gab schwülstige Ansprachen, schöne Lieder (nicht von mir!) und es war wieder einmal ein ganz herzlicher Moment. Wahrscheinlich sind die SibirierInnen gerade wegen der grossen Kälte im Winter so warmherzige Menschen!



Die nächste Station an diesem Tag war der Besuch des Lokalfürsten, sprich des Präsidenten des Raions. Ein seltsames Treffen, dessen Zweck mir nicht so ganz einleuchtete. Irgendwie soll er mir behilflich sein, falls ich touristische Ratschläge oder Ähnliches brauche in Zukunft. Aber ich weiss ja schon so ziemlich alles von der Gegend. Na ja, brav Händeschütteln und Lächeln. Doch nur schon die Toilette im Verwaltungsgebäude war ein Besuch wert! 


Nachher gab’s noch Shopping und auf dem Rückweg versuchten wir noch, zu den Felszeichnung (ja,ja, sowas haben die hier auch!) zu gelangen. Da es dann doch etwas zu schlammig und nass wurde, beschlossen wir, später mit dem Lada Niva nochmals herzukommen. 


Dies sollte sich später als durchaus gute Idee herausstellen. Wieder zu Hause, die Banja einheizen und Schargal und ich fuhren mit dem Niva nochmals raus. Sensationelles Auto im Gelände. Wo der überall durchkam... Mit dem Magirus absolut keine Chance. 



Und nach langem Suchen fanden wir auch die Felszeichnungen. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um jahrtausendealte Petroglyphen aus der Zeit der Hunnen oder noch älter, es waren tibetische Schriftzeichen, die vielleicht zwischen 100 und 300 Jahre alt sind. Schargal erklärte mir, dass es noch vor der Sowjetzeit ganz in der Nähe ein buddhistisches Kloster gab, dass jedoch den Stalinterror nicht überlebte. Irgendwie schien es aber doch auch ältere Zeichnung zu haben. 





Zu Hause gab es dann Blut- und im Darm gefüllte Innereienwürste, danach endlich wieder einmal Banja. Was für eine Wohltat!
Wir schreiben bereits Dienstag, den 6. September und ich fuhr mit Schargal Richtung Osten mit dem Magirus. Wir wollen zwei Tage etwas die Gegend erkunden. In Topka hatten wir einen Termin bei einer Bekannten von Rimma, deren Mann uns zu einem schönen See mit weissem Sand bringen sollte. Bei ihr gab es zuerst Tee (d.h. Tee und Wurst und Salat und Brot und gebratene Zucchetti und und und...). Frisch gestärkt machten wir uns auf, im Dorf abgebogen in den Wald hinein. Ein schmaler Fahrweg, sumpfig, schlammig, tief hängende Baumäste. Mir gefiel das Ganze gar nicht. Nach vier, fünf Kilometern auf diesem Weg beschloss ich umzukehren, da ich den Magirus nicht wegen eines Sees so zurichten wollte. Und auf dem Rückweg, kurz vor dem Dorf gelang mir wieder mal das, was mir schon lange nicht mehr gelungen ist, ich blieb stecken in einem tiefen Schlammloch. Weggerutscht in einen Graben, nichts zu machen. Also schaufeln, Äste unterlegen, schwitzen, schaufeln. Half aber nicht, zu weich war der Untergrund. Aber eben, das Dorf war in der Nähe, Schargal und unser „Führer“ holten Hilfe in Form eines grossen Traktors, der mich rauszog. 



Und auch diesmal durfte ich nichts bezahlen! So konnte dann unsere Fahrt weitergehen, wir besuchten das neu restaurierte Kloster Murochi und fuhren Richtung mongolische Grenze. 





Wie das hier so ist, gab es auch eine Kontrolle, bevor in die Grenzregion hineingefahren werden durfte. Ich als Ausländer war natürlich eine potentielle Gefahr für die nationale Sicherheit und dementsprechend wurde ich überprüft. Sie wollten es sehr genau wissen, fotografierten jede Seite meines Passes mit den Visas. Und davon gab es eine Menge. Und ihr Ausdruck von grösstem Erstaunen ist jeweils ein leichtes Kopfnicken zur Seite. Das kam doch ein paar Mal vor, sei es wegen den Visas oder wegen des Magirus’. Es waren aber ganz freundliche und anständige Soldaten und wir hatten es gut. Nach etwa zwei Stunden konnten wir weiterfahren. Die Reise ging durch lange Täler, über weite Hügel und tiefe Wälder. Leider war der Himmel immer noch stark wolkenverhangen und somit sahen wir nicht allzu viel. Übernachtet hatten wir an einem kleinen See, bereits im Zabaikalsky Kraj, ausserhalb der Republik Burjatien. 







Am nächsten Tag fuhren wir weiter und beschlossen, gegen Abend wieder nach Khayan zurück zu kehren, da diese Gegend für meine Zwecke wenig interessant war. Das Mittagessen nahmen wir in einer von Gemütlichkeit strotzenden Beiz ein. Wir waren die einzigen Gäste. 







Der Fluss Khilok (der auch an Khayan vorbeifliesst) bildet die natürliche Grenze zwischen dem Zabaikalsky Kraj und der Republik Burjatien. Und über eben diesen Fluss führte eine nicht wirklich vertrauenerweckende Brücke und ich kam ganz leicht ins Schwitzen. 


Danach war die „Strasse“ oder wie man dem Ding auch immer sagen möchte, ganz furchtbar, nur Schritttempo ging. Horror. Dafür wurde die Landschaft weit und offen, wir waren wieder in der südburjatischen Steppe zurück. Bei aufmerksamer Sicht fielen einem immer wieder buddhistische Steintafeln auf, die auch hundert und mehr Jahre alt sind. Mir gefällt diese Gegend unwahrscheinlich. 



Bei Shibertuy wollten wir den nahegelegenen Kurort mit Quelle aufsuchen. Der Pfad dahin erwies sich jedoch auch als sehr mühsam, war auch hier alles schlammig und sumpfig nach mehreren Tagen Dauerregen. In einem Weiler fragte Schargal nach, wie dann die Weiterfahrt sei und bekam die Info, dass der Weg dahin seit mehreren Tagen nicht mehr befahren wurde und in einem sehr schlechten Zustand sei. Also beschlossen wir, das ganze Vorhaben abzublasen und machten uns auf den Weg zurück zur asphaltierten Hauptstrasse. Der Weg dahin war aber alles andere als leicht und wir schafften es mit äusserster Not, nicht schon wieder im Schlamm stecken zu bleiben. Die ganze Gegend glich einem riesigen Sumpf. Mit Geländeuntersetzung und sämtlichen Sperren gelang es uns auf die Hauptstrasse zu kommen. 



Und jetzt nichts wie nach Hause, Bier und Banja. Nach dem Schwitzen nochmals Schwitzen. Belohnt wurden wir zusätzlich mit einer wunderschönen Abendstimmung.



Es war nun der letzte Abend angebrochen in Khayan, tags darauf verliess ich den Ort und die liebe Familie. Dies feierten wir mit viel Essen, zwei Flaschen Vodka, Bier und viel Tee. Und natürlich viele schöne Worte der Anerkennung und des Dankes. Glücklich, zufrieden, ausgeschwitzt nach der Banja und leicht angeheitert ging ich kurz vor Mitternacht schlafen und bin gespannt, was die nächsten Tage und Wochen noch bringen werden. 
So fuhr ich am nächsten Tag nach dem Mittag gemütlich los bis kurz vor Ulan-Ude. 




Schlafen tat ich an diesem Tag wieder bei Tarbatagay, diesmal jedoch auf dem Rastplatz. Und es ist schon praktisch, wenn man(n) mit seiner Frau unterwegs ist, nicht nur wegen der Unterhaltung auf den langen Fahrten, sondern auch als Motorhaubenhalter(in)...



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