Am
Freitag,
den 2. September, einem kühlen, grauen und verregneten Tag, machte ich mich
wieder auf, um nach Khaya in Südburjatien zu fahren. Die Fahrt über die
Magistrale M 55 ging zügig voran, es gab wenig Verkehr und der Baikal zeigte
sich von seiner eher ungemütlichen Seite.
Nun, so verpasste ich wenigsten
wettermässig nicht viel, da ich eh den ganzen Tag unterwegs war.
Irgendwo
bei Selenginsk dann wieder einmal eine DPS-Kontrolle, trotz Regen jedoch
mückenverseucht. Die beiden Polizisten liessen sich nichts anmerken, als ob für
sie diese Mücken nicht existierten. Ich drehte schier durch. Es war eine
lustige Kontrolle, wie immer wollten sie wissen woher ich bin und wieso ich
gerade durch Burjatien reisen wollte. Nun, etwa 700 Mückenstiche später war ich
wieder unterwegs. Etwa 30 Kilometer nach Ulan-Ude hielt ich zum Übernachten auf
einem Hügel an, den ich auf einem Feldweg erreichte. Wäre wohl eine prächtige
Aussicht gewesen, hätte es nicht geregnet und wäre der Himmel nicht so tief mit
Wolken verhangen gewesen. Aber ruhig war es allemal.
Am nächsten
Morgen frühzeitig losgefahren nach einem gemütlichen Morgenessen. Das Wetter
war immer noch nicht besser. Ich entschied mich diesmal, noch ein Stück auf der
M 55 zu bleiben und über Mukhoshibir zu fahren, welches die dritte Möglichkeit
ist, nach Khayan zu gelangen. Und diese Entscheidung erwies sich als sehr gut,
denn landschaftlich war es atemberaubend. Ein langes Tal, weite Kurven, kleine
Hügel und prächtige Dörfer mit ganz farbigen Häuser. Diese Gegend um Tarbatagay
ist bekannt für die Dörfer der Altgläubigen, welches eine strenggläubige
Gemeinschaft orthodoxer Christen ist. Ganz nach dem Motto „Urbi et orbi“.
Aber kaum
von der Magistrale abgebogen, waren die Strassen wieder furchtbar. Und was ich
mir bis dato immer noch nicht erklären kann, ist das russische
Strassenbausystem. Da gibt es zum einen die Naturstrassen, welche zum Teil sehr
gut befahrbar sind, dann wieder mehrere hundert Meter oder Kilometer
Schlagloch- und Wellblechpisten. So zwischendurch einmal mit einem Grader
(Strassenplaniermaschine) darüber fahren würde dem Ganzen viel Abhilfe
schaffen. Dann sind da zum anderen die Asphaltstrassen, welche ebenfalls
streckenweise ganz gut befahrbar sind, dann jedoch immer wieder durch 10 – 50
Meter lange Stücke mit enormen Schlaglöchern und aufgerissenem Asphalt übersät
sind. Oft kann ich gar nicht schneller als 20 km/h fahren. Interessanterweise
gibt es auch ein Gemisch aus Natur- und Asphaltstrassen, was ich schon gar
nicht mehr begreife. 20 Kilometer Naturstrasse, 500 Meter Asphalt, wieder 5
Kilometer Natur, 10 Kilometer Asphalt usw. Ich meine, was soll das? Und für
das, dass auf dem Lande wirklich sehr wenig Verkehr herrscht, sind die Strassen
in einem erbärmlichen Zustand. Und das liegt bestimmt nicht nur an den
klimatischen Verhältnissen.
So. Nun
aber wieder zurück zur Reise. Kurz nach Mittag dieses 3. Septembers traf ich
bei Rimma und Familie in Khayan ein. Ein freudiges Wiedersehen. Und
selbstverständlich gab es gleich etwas zu Essen und es wurde Vodka gereicht.
Schargal war nicht zu Hause, er war mit einem Kumpel in der Taiga am
Zirbelkieferzapfen sammeln. Und daraus werden die sehr leckeren Kiefernüsse
gewonnen. Nach dem Essen musste ich mich erst mal zwei Stunden hinlegen... Und
was auch nicht zu vermeiden war, es musste unbedingt ein Schaf her! Ich wollte
jedoch kein Schaf! Nichts zu machen, mit Schargal zu seiner Mutter Dussia
gefahren und da lag das Schaf schon.
Wieder zurück, das Fleisch in weitere
kleine Stücke zerlegt und die Leber auf das Feuer. Für mich und Schargal gab
es somit noch ein spätes Abendmahl, dazu Tee und Vodka.
Tags darauf
fuhr ich mit Nadja und Schargal nach Kjakhta, der alten Handelsstadt an der
mongolischen Grenze. Ihr Sohn und mein Patenkind Dima studiert dort seit dem
ersten September an der Hochschule für Medizin und wohnt in einem
Studentenheim. Zu zweit in einem Zimmer, welches vermutlich kleiner ist als
eine Zelle für Einzelhaft in einem unserer Gefängnisse. Vielleicht drei auf
vier Meter.
Zusammen besorgten wir in der Stadt für Dima noch diverse Sachen,
die er noch braucht, gingen etwas Essen und am frühen Abend fuhren wir wieder
zurück. Kjakhta fällt durch seine alten Handelshöfe, prächtigen Holzhäusern und
neu gestrichenen Kirchen auf. Auch besuchten wir den alten Grenzübergang aus
sowjetischer Zeit.
Und Lenin, der alte Zausel, ist nun ironischerweise dazu
verdammt, auf ewig die Kirche anzustarren... Im Einkaufscenter „Titan“ sah ich,
wie sie hierzulande mit Ladendieben umgehen. Da hängt beim Ausgang ein grosses
Plakat mit Fotos der Leute drauf, die „vergessen“ haben zu bezahlen. Ist auch
eine Variante...
Am nächsten
Tag war wieder Programm angesagt, es wartete ein Besuch in der Schule No. 4 in
Bichura, wo Rimma zwei Tage die Woche als Englischlehrerin arbeitet. Sie
sagte mir, dass ihre Klasse mir gerne einige Fragen stellen möchte. Jedoch
stellte sich heraus, dass ich vor der ganzen versammelten Schule Red und
Antwort stehen musste! Ich war einen Moment lang etwas überfordert, dies legte
sich doch sehr schnell. Es war eine interessante und spannende Erfahrung und es
waren wirklich ganz süsse Kinder und Jugendliche. Der Höhepunkt allerdings war
dann die Besichtigung des Magirus’. Und auch für viele Fotos musste ich
herhalten, seien es mal in Gruppen, mal zu zweit oder ein Selfie. Es hat Spass
gemacht.
Was ich jedoch sehr befremdlich fand, waren die Plakate in der Schule über den
Umgang mit Waffen und überhaupt die Verherrlichung der Armee.
Danach gab es
einen kleinen (!) Imbiss in der Schulkantine mit der versammelten Lehrerschaft.
Alles selber gemacht, auch der Vodka. Die Schule hat auch einen eigenen
Gemüsegarten, dass ist erstens lehrreich für die Schüler, zweitens billiger als
im Magazin einzukaufen. Es gab schwülstige Ansprachen, schöne Lieder (nicht von
mir!) und es war wieder einmal ein ganz herzlicher Moment. Wahrscheinlich sind
die SibirierInnen gerade wegen der grossen Kälte im Winter so warmherzige Menschen!
Die nächste
Station an diesem Tag war der Besuch des Lokalfürsten, sprich des Präsidenten
des Raions. Ein seltsames Treffen, dessen Zweck mir nicht so ganz einleuchtete.
Irgendwie soll er mir behilflich sein, falls ich touristische Ratschläge oder
Ähnliches brauche in Zukunft. Aber ich weiss ja schon so ziemlich alles von der
Gegend. Na ja, brav Händeschütteln und Lächeln. Doch nur schon die Toilette im
Verwaltungsgebäude war ein Besuch wert!
Nachher gab’s noch Shopping und auf dem
Rückweg versuchten wir noch, zu den Felszeichnung (ja,ja, sowas haben die hier
auch!) zu gelangen. Da es dann doch etwas zu schlammig und nass wurde,
beschlossen wir, später mit dem Lada Niva nochmals herzukommen.
Dies sollte
sich später als durchaus gute Idee herausstellen. Wieder zu Hause, die Banja
einheizen und Schargal und ich fuhren mit dem Niva nochmals raus.
Sensationelles Auto im Gelände. Wo der überall durchkam... Mit dem Magirus
absolut keine Chance.
Und nach langem Suchen fanden wir auch die
Felszeichnungen. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um jahrtausendealte Petroglyphen
aus der Zeit der Hunnen oder noch älter, es waren tibetische Schriftzeichen,
die vielleicht zwischen 100 und 300 Jahre alt sind. Schargal erklärte mir, dass
es noch vor der Sowjetzeit ganz in der Nähe ein buddhistisches Kloster gab,
dass jedoch den Stalinterror nicht überlebte. Irgendwie schien es aber doch
auch ältere Zeichnung zu haben.
Zu Hause gab es dann Blut- und im Darm gefüllte
Innereienwürste, danach endlich wieder einmal Banja. Was für eine Wohltat!
Wir
schreiben bereits Dienstag, den 6. September und ich fuhr mit Schargal Richtung
Osten mit dem Magirus. Wir wollen zwei Tage etwas die Gegend erkunden. In Topka
hatten wir einen Termin bei einer Bekannten von Rimma, deren Mann uns zu einem
schönen See mit weissem Sand bringen sollte. Bei ihr gab es zuerst Tee (d.h.
Tee und Wurst und Salat und Brot und gebratene Zucchetti und und und...).
Frisch gestärkt machten wir uns auf, im Dorf abgebogen in den Wald hinein. Ein
schmaler Fahrweg, sumpfig, schlammig, tief hängende Baumäste. Mir gefiel das
Ganze gar nicht. Nach vier, fünf Kilometern auf diesem Weg beschloss ich
umzukehren, da ich den Magirus nicht wegen eines Sees so zurichten wollte. Und
auf dem Rückweg, kurz vor dem Dorf gelang mir wieder mal das, was mir schon
lange nicht mehr gelungen ist, ich blieb stecken in einem tiefen Schlammloch.
Weggerutscht in einen Graben, nichts zu machen. Also schaufeln, Äste
unterlegen, schwitzen, schaufeln. Half aber nicht, zu weich war der Untergrund.
Aber eben, das Dorf war in der Nähe, Schargal und unser „Führer“ holten Hilfe
in Form eines grossen Traktors, der mich rauszog.
Und auch diesmal durfte ich
nichts bezahlen! So konnte dann unsere Fahrt weitergehen, wir besuchten das neu
restaurierte Kloster Murochi und fuhren Richtung mongolische Grenze.
Wie das
hier so ist, gab es auch eine Kontrolle, bevor in die Grenzregion
hineingefahren werden durfte. Ich als Ausländer war natürlich eine potentielle
Gefahr für die nationale Sicherheit und dementsprechend wurde ich überprüft. Sie wollten
es sehr genau wissen, fotografierten jede Seite meines Passes mit den Visas.
Und davon gab es eine Menge. Und ihr Ausdruck von grösstem Erstaunen ist
jeweils ein leichtes Kopfnicken zur Seite. Das kam doch ein paar Mal vor, sei
es wegen den Visas oder wegen des Magirus’. Es waren aber ganz freundliche und
anständige Soldaten und wir hatten es gut. Nach etwa zwei Stunden konnten wir
weiterfahren. Die Reise ging durch lange Täler, über weite Hügel und tiefe
Wälder. Leider war der Himmel immer noch stark wolkenverhangen und somit sahen
wir nicht allzu viel. Übernachtet hatten wir an einem kleinen See, bereits im
Zabaikalsky Kraj, ausserhalb der Republik Burjatien.
Am nächsten
Tag fuhren wir weiter und beschlossen, gegen Abend wieder nach Khayan zurück zu
kehren, da diese Gegend für meine Zwecke wenig interessant war. Das Mittagessen
nahmen wir in einer von Gemütlichkeit strotzenden Beiz ein. Wir waren die
einzigen Gäste.
Der Fluss Khilok (der auch an Khayan vorbeifliesst) bildet die
natürliche Grenze zwischen dem Zabaikalsky Kraj und der Republik Burjatien. Und
über eben diesen Fluss führte eine nicht wirklich vertrauenerweckende Brücke
und ich kam ganz leicht ins Schwitzen.
Danach war die „Strasse“ oder wie man
dem Ding auch immer sagen möchte, ganz furchtbar, nur Schritttempo ging.
Horror. Dafür wurde die Landschaft weit und offen, wir waren wieder in der
südburjatischen Steppe zurück. Bei aufmerksamer Sicht fielen einem immer wieder
buddhistische Steintafeln auf, die auch hundert und mehr Jahre alt sind. Mir
gefällt diese Gegend unwahrscheinlich.
Bei Shibertuy wollten wir den
nahegelegenen Kurort mit Quelle aufsuchen. Der Pfad dahin erwies sich jedoch
auch als sehr mühsam, war auch hier alles schlammig und sumpfig nach mehreren
Tagen Dauerregen. In einem Weiler fragte Schargal nach, wie dann die
Weiterfahrt sei und bekam die Info, dass der Weg dahin seit mehreren Tagen
nicht mehr befahren wurde und in einem sehr schlechten Zustand sei. Also
beschlossen wir, das ganze Vorhaben abzublasen und machten uns auf den Weg
zurück zur asphaltierten Hauptstrasse. Der Weg dahin war aber alles andere als
leicht und wir schafften es mit äusserster Not, nicht schon wieder im Schlamm
stecken zu bleiben. Die ganze Gegend glich einem riesigen Sumpf. Mit
Geländeuntersetzung und sämtlichen Sperren gelang es uns auf die Hauptstrasse
zu kommen.
Und jetzt nichts wie nach Hause, Bier und Banja. Nach dem Schwitzen
nochmals Schwitzen. Belohnt wurden wir zusätzlich mit einer wunderschönen
Abendstimmung.
Es war nun
der letzte Abend angebrochen in Khayan, tags darauf verliess ich den Ort und
die liebe Familie. Dies feierten wir mit viel Essen, zwei Flaschen Vodka, Bier
und viel Tee. Und natürlich viele schöne Worte der Anerkennung und des Dankes.
Glücklich, zufrieden, ausgeschwitzt nach der Banja und leicht angeheitert ging ich kurz vor Mitternacht
schlafen und bin gespannt, was die nächsten Tage und Wochen noch bringen
werden.
So fuhr ich am nächsten Tag nach dem Mittag gemütlich los bis kurz vor Ulan-Ude.
Schlafen tat ich an diesem Tag wieder bei Tarbatagay, diesmal jedoch auf dem Rastplatz. Und es ist schon praktisch, wenn man(n) mit seiner Frau unterwegs ist, nicht nur wegen der Unterhaltung auf den langen Fahrten, sondern auch als Motorhaubenhalter(in)...
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