Donnerstag, 21. Juli 2016

Lost in Baschkorostan

Am Dienstag, 12. Juli, reisten wir endlich in Russland ein. Doch anstelle langwieriger Zollformalitäten, gab es nicht einmal ein Häuschen, wo wir uns anmelden mussten. Über der Strasse befand sich ein Dach, da standen irgendwelche Beamte, die aber nur fragten, was das für ein LKW sei. Da sagte ich „Autodatscha“, was soviel wie Wohnmobil heisst. Und schon durchgewunken. Da nach mehreren hundet Metern immer noch kein Häuschen und kein Schlagbaum kam, wurde es mir langsam aber sicher unheimlich, also hielten wir an einer Tankstelle und ich fragte, wo denn bitte der Zoll sei. Die meinten nur, da käme nichts mehr. Also beschlossen wir, nochmals zum Dach zurückzufahren. Etwa 100 m vorher hielt ich an, ging zu Fuss zu den Beamten und erkundigte mich, wo ich denn bitte schön einen Stempel kriege und wo überhaupt der Zoll hingekommen sei. Sie versicherten mir, es brauche keinen Stempel und das hier sei der Zoll. Endlich dämmerte es mir, wir sind ja in der Eurasischen Zollunion. Russland, Weissrussland und Kasachstan versuchen ja sowas wie einen auf EU zu machen. Also gab es auch keine Grenze mehr. Sozusagen. Stempel njeto!
Kay vom SRF und Haris sein Fahrer hatten es da etwas schwerer, da sie das ganze Filmequipment aus- und wieder einführen mussten. Dazu mussten sie nochmals ein gutes Stück zurückfahren, den die Weissrussen haben wie die Russen auch doch noch ein Zollhäuschen. Aber in den Pass kriegten sie auch keinen Stempel. Ihr Zollprozedere dauerte lange, so fuhren wir schon mal ein Stück weiter. 


Wir schafften es bis kurz vor den äusseren Ring Moskau, wo wir einen nicht allzu üblen Parkplatz fanden. 


Die erste Nacht in Russland und dazu gleich Sibirskoje Bier! 


Was für ein Einstand!! Von einem littauischen Fahrer erhielt ich noch gute Tips, wie Moskau am besten umfahren wird. Auf dem äussersten Ring, das ist zwar etwas weiter, dafür staufrei und ohne grosse Polizeikontrolle.
Kay und Haris mussten zum moskauer Flughafen Domodedovo im Norden der Stadt fahren, um da das Mietauto zu tauschen. Wir fuhren bis zur Umfahrung von Nishni Novgorod, wo wir eine gute Raststätte fanden. Es sollte ja auch immer ein Motel da sein, damit Kay und Haris übernachten können. Die Raststätte, das kann ich schon mal vorwegnehmen, sind alle auch sehr sauber und ordentlich, ebenso die Zimmer.
Am nächsten Morgen wieder früh raus und los ging’s. Diesmal fuhr Kay mit uns mit, da Haris das Mietauto wieder in Nishni Novgorod tauschen musste. 


In Moskau erhielten sie zuerst ein Wagen, der nicht tauglich war, nur schon aus dem Flughafengelände heraus zu fahren, geschweige denn bis nach Irkutsk zu fahren. Also gab es nach stundenlangem hin und her ein Wagen bis nach Nishni, da war dann ein Wagen reserviert worden, der es schaffen konnte...
Kay genoss die komfortable Fahrt im LKW. Den ganzen Tag fahren, die Landschaft glitt an uns vorbei und wir waren alle zufrieden. 


Es ist ein weites, flaches Land, bewirtschaftete Felder wechseln sich mit riesigen Blumenwiesen, Seen und Flüssen ab. Unser Nachtlager schlugen wir auf der bis jetzt schönsten Raststätte der Reise auf. Wir sind bereits in der Republik Tatarstan, haben Kasan hinter uns gelassen. Die Raststätte hat ein Motel und eine Moschee. Bier und Zigaretten gibt es nicht im Beizli. Das ist jedoch nicht so schlimm, haben wir ja noch Entlebucher Bier von Kramers dabei. Das eignet sich hervorragend zu diesem Abend. Prächtiger Sonnenuntergang, weiter Weizenfelder, ruhig und lauschig war’s. Die Menschen wie überall im Land nett und hilfsbereit.


Wir waren dann bereit am Freitagmittag, 16. Juli, in Ufa angelangt. Eingeladen wurden wir da vom Generaldirektor des Zentrums für Tibetische Medizin. 


Meine Bekannte Veronika, welche ich auch der ersten Russlandreise vor 11 Jahren kennen lernte, arbeitet da. Nur leider war sie nicht da, weil sie kurzfristig nach Moskau musste. Also wurden wir von Diana empfangen, der rechten Hand des Direktors. Wir zogen uns anständig an, raus aus dem bequemen Schlabberlook, und wurden dem Direktor vorgestellt.


Der freute sich sichtlich, Gäste aus der Schweiz willkommen zu heissen. Zuerst gab es eine Führung durch die Klinik. Sie behandeln da Menschen mit allen möglichen Krankheiten nach traditioneller chinesischer und tibetischer Art. D.h., mit Akkupunktur, Massagen, Schröpfen und vieles mehr. Das Zentrum soll in ganz Russland bekannt sein und die Menschen von überall her kommen nach Ufa, um sich behandeln zu lassen. Wir durften die Patienten, welche behandelt wurden, sehen und auch filmen. Dazu erklärte Azad, der Direktor, viel zu den Methoden und zur Klinik, leider verstand ich nicht ganz alles. Nach dem Rundgang gab es Geschenke für uns. Infomaterial (inkl. DVD) zur Klinik, eine Büchse Tee extra aus China und was ziemlich befremdlich war (und es immer noch ist), getrocknete Yak-Pimmel. Die sollen 2 – 3 Wochen im Vodka eingelegt werden und dann jeden Tag ein Gläschen davon trinken. Ihr könnt euch ja vorstellen, wozu das gut sein soll... Genau! Bei den Männern für die Potenz, bei den Frauen für die Fruchtbarkeit. Na ja, andere Länder, andere Sitten. Von unserer Seite gab es Bildbänder von der Schweiz und vom Vierwaldstättersee und natürlich reichlich Schokolade. Zum Mittagessen gingen wir über die Strasse in ein Einkaufszentrum und im Irischen Pub gab es reichlich Essen. Danach war wieder TV angesagt. Das erste Fernsehen der Republik Baschkorostan machte mit uns ein Interview in der Klinik. Ich erzählte ihnen, was wir hier machen, und warum. Natürlich auch, dass es mir in Russland sehr gefällt und warum. Ich kriegte noch eine Behandlung mit einer Art Zigarre, obwohl ich gar kein Leiden habe. Dazu lag ich auf dem Bauch und der Arzt strich mit dem glühenden Ende ganz knapp über die Haut. Das war sehr entspannend und warm. Und immer mehrere Kameras auf mich gerichtet. 


Ich komme mir schon bald vor wie ein Promi (wenn auch nur Cervelat-Promi...!). Das Schweizer und Baskorische Fernsehen lieferten sich sozusagen ein Kamera-Battle. 

Nach dem Interview bekamen wir noch eine kleine Stadtführung. Sogar eine Führung auf Deutsch! Es ist unglaublich, was dieses Zentrum alles für uns organisiert hat. 


Wir besuchten das Monument ihres Nationalhelden. Prächtiger Platz mit überwältigender Aussicht über das Land. 

An dieser Stelle stand das erste Fort. Wir erfuhren, dass Ufa im 16. Jhd. entstand, heute die drittlängste Stadt Europas ist nach Wolgograd und Sotschi. Ufa ist 50 km lang und ca. 30 km breit, hat über eine Million Einwohner, was ein Viertel der gesamten Bevölkerung der Republik ist. Die längste Strasse ist 10 km (!) lang. Aber dieser ereignisreiche Tag war noch lange nicht vorbei. Wir fuhren nach der Stadtführung hinter Juri, auch ein Angestellter, nach zu Azad nach Hause. Dieser wohnt aber ziemlich weit draussen. 


Sage und schreibe 140 km sind wir noch gefahren, bis wir um ca. 22.00h bei Azads Haus angelangten. Wir glaubten schon, es wird nicht mehr. Dann aber zuerst einmal Banja. Nachher Bier draussen und nochmals Banja.


Das ganze Programm, auch tätscheln mit Birkenzweigen. Das ist gesund und regt die Durchblutung an. Da Banja Hunger gibt, wurde eine Festtafel hergerichtet, wie ich sie schon ewig nicht mehr gesehen habe! 


Sie kennen gar nichts! Und so hiess es wieder mal Essen und Trinken, schöne Ansprachen halten 

und singen (also Azad, wir nicht). Da wir in sein Haus eingeladen wurden, gehören wir nach alter Sitte nun auch zu seiner Familie. Und wir assen und tranken viel... Azad ist auch Besitzer einer Mineralwasserfabrik und Juri ist dort der Chef.
Nach einer viel zu kurzen Nacht mussten wir bereits um acht Uhr aufstehen. Es gibt Programm heute. Wir besuchen das erste Ethno-Festival des Rayons. 



Ein Rayon ist so etwas wie bei uns ein Amt (z.B. Amt Luzern Land o.Ä.). Aber in den russischen Dimensionen entspricht es eher einem Kanton! Es gab folkloristische Darbietungen wie die schauspielerische Erzählung der Heldensage von Salavaten Julaevka (der Nationalheld Baschkorostans), traditioneller Tanz und Gesang. 


Daneben boten verschiedene Stände ihr Handwerk an. 


Und ebenfalls fand ein Bogenschiess-Wettbewerb statt, jedoch erkanntent wir nicht wann er begann, wann er aufhörte und wie er gewertet wurde. Wir dachten, es sei bloss das Einschiessen...! 


Von Azad wurden wir mit jenen Leuten bekannt gemacht, Souvenirs durfte ich keine kaufen, ich bekam alles geschenkt. Auch einen Riesensack Tee. Und noch mehr Tee. Zum Mittagessen wurden wir ebenfalls von Azad zu Pilaw und Schaschlik eingeladen, ich durfte auch nicht bezahlen. Dann begleiteten wir Azad in die VIP-Jurte. Da war die ganze Politik des Rayons versammelt am gedeckten Tisch. Also nochmals essen...! Und reden. Oder wenigstens versuchen. Dargeboten wurde uns noch das traditionelle Flötenspiel und Musik auf der dreisaitigen Gitarre, deren Namen mir jedoch entfallen ist.

So etwa um drei Uhr nachmittags verliessen wir das Festgelände und verabschiedeten uns von Azad. Ein herzlicher und berührender Abschied. Ich darf mich jetzt offiziell sein Bruder nennen, Jan sein Brüderchen und Lisa sein Schwesterchen. Wir mögen ihn sehr und ich hoffe, dass ich ihn auf der Rückreise noch einmal treffen kann. Jetzt habe ich schon wieder einen Verwandten mehr in Russland.

Juri begleitete uns noch bis vor die Tore Ufas, bei der Abzweigung Richtung Tscheljabinsk verabschiedeten wir uns leider auch von ihm. Ich mag keine Abschiede –
Uns hat dieser leider viel zu kurze Aufenthalt in Baschkorostan sehr beeindruckt und gefallen. Auch ein Land, dass genauer betrachtet werden sollte. Aber irgendwie ist Russland einfach zu gross, das ein Leben reicht, dieses fantastische Land und seine warmherzigen Menschen kennen zu lernen...
Wir verlassen nun das gute alte Europa und fahren in Asien ein... Irgendwie auch ein bedeutender Schritt auf unserer Reise!

 

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